Für diejenigen, die sich der (Weiter-)Entwicklung von Schreibkompetenz widmen, ist die anfängliche Aufregung um ChatGPT und KI-Schreibtools wahrscheinlich inzwischen verflogen. Die Frage, ob Schreibkompetenz auch in Zukunft relevant bleibt, wurde bereits an vielen Stellen mit einem klaren »Ja« beantwortet – und auch ich habe dies in meinem letzten Artikel für diesen Blog gemacht. Allerdings bleibt hierbei eine wichtige Frage unbeantwortet.
Wenn KI-Tools in der Lage sind, Schreibarbeiten zu erledigen, warum sollten Lernende dann noch dazu motiviert sein, sich dem oft mühsamen Prozess des Erwerbs von Schreibkompetenz zu stellen? Reicht dann nicht allein der Erwerb von basaler Schriftlichkeit, also Grundfertigkeiten im Schreiben und Lesen aus? In diesem Artikel werde ich erklären, wie Schreibmotivation bei Lernenden trotz KI-Tools gefördert werden kann.
Erwiesenermaßen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Schreibmotivation einerseits und Schreiberfolg, gemessen anhand der Textqualität, andererseits (Camacho et al. 2018). Sind KI-Schreibtools nun frei verfügbar, führt das Wissen um deren Existenz möglicherweise zu einem Teufelskreis: Lernende sind weniger motiviert, viel Zeit in das Verfassen von Texten zu investieren – entweder, weil sie das Gefühl haben, ohnehin nie so gut zu sein wie die KI, oder, weil sie gar keinen Sinn mehr darin sehen, kompetente Schreibende zu werden. Die abnehmende Motivation führt dazu, dass sie weniger schreiben und dies bedingt wiederum eine Abnahme der Schreibleistung, führt also zu qualitativ schlechteren Texten. Die Lernenden sehen sich also in ihrem negativen Urteil über die eigene Schreibkompetenz bestätigt – und gleichzeitig wird die KI auch de facto immer besser. Wo also kannst du als Lehrkraft ansetzen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen?
Die einfachste Antwort – zumindest für den Augenblick – zuerst: Zeig den Lernenden, so lange es noch möglich ist, die Defizite von KI-generierten Texten auf bzw. schaff Gelegenheiten, dass sie diese selbst entdecken. Entwickle gemeinsam mit den Lernenden Kriterien für die Textbeurteilung und benotet anschließend KI-generierte Texte. Dies ermöglicht es, die Grenzen der KI-Generierung aufzuzeigen und den Lernenden ein besseres Verständnis für die Qualität von KI-generierten Texten zu vermitteln. Aber diese Lösung ist zu einfach und wird mit steigender Leistung der KI-Tools nicht mehr möglich sein.
Fragen wir uns also, welche Faktoren wichtig sind für Schreibmotivation. Kirsten Schindler (2022) nennt hierfür u. a. die (1) Ausgestaltung von Schreibaufgaben: Sind diese sinnstiftend? Wecken sie das Interesse der Lernenden? Und: Fördern sie das Kompetenzerleben der Schreibenden? Ein Punkt, der aufgabenunabhängig darüber entscheidet, ob Lernende »schreibmotiviert« sind, ist das (2) Selbstverständnis und ein damit einhergehendes Selbstbewusstsein als Autorin oder Autor. Betrachten wir daneben noch die auf Motivation ausgerichtete Selbstbestimmungstheorie nach Edward Deci und Richard Ryan (1993), kommt zum bereits erwähnten Kompetenzgefühl zum einen noch ein (3) Autonomiegefühl dazu – kann ich selbst darüber entscheiden, was ich mache? – und zum anderen schließlich (4) das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen.
Aus den gerade genannten Ergebnissen der Schreibwissenschaft und der psychologisch orientierten Motivationsforschung zur Förderung von (Schreib-)Motivation leite ich nun vier übergeordnete Ansätze für einen motivationsfördernden Schreibunterricht im KI-Zeitalter ab. Diese sind jedoch nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern entfalten ihre Wirkung nur im Zusammenspiel. Daher springe ich mitunter auch zwischen den einzelnen Punkten hin und her.
(1) Schreibaufgaben
Für unsere übergeordnete Fragestellung danach, wie Schreibmotivation von Lernenden im KI-Zeitalter aufrechterhalten bzw. erhöht werden kann, ist die erste Stellschraube die Formulierung von Schreibaufgaben. Schreibaufgaben sollten unmittelbar an der Lebenswelt der Lernenden ansetzen, sodass diese ihr eigenes Tun als sinnstiftendes Handeln mit erkennbarem und relevantem Ergebnis wahrnehmen können. Schreiben muss persönlich bedeutsam sein, so jedenfalls propagiert es der expressive Ansatz der Schreibdidaktik (Elbow 2007). Ein persönlicher Zugang zu einem Thema ist eine wichtige Bedingung dafür, dass gute Texte entstehen – gewährleiste einen solchen also durch deine Aufgabenstellung. Kläre bei der Vergabe von Schreibaufgaben außerdem ebenso die Funktion der Aufgabe wie die Adressatinnen und Adressaten, an die der Text sich richtet. Leserbriefe als gern gewählte Textsorte für schulische Schreibaufgaben sind dabei sicher nicht mehr Teil der Lebensrealiät von Lernenden (Schindler 2022). Künstliche Intelligenz und entsprechende textgenerierende Tools sind es aber immer mehr. Die Konsequenz daraus muss sein, dass die Nutzung von KI-Schreibtools als Hilfsmittel in die Aufgabenstellung integriert werden sollte. Hier gilt es jedoch, präzise zu sein: Unkonkrete Aufgabenstellungen wie »Nutze ein KI-Tool, um einen Blogbeitrag aus der Sicht von Emilia Galotti zu schreiben« sind nicht geeignet – durch sie verschwimmt die Grenze zwischen dem, was die Tools leisten können und wozu es noch menschliches Zutun braucht (vgl. Nele Hirsch 2023) Aus des Aufgabenstellung sollte stattdessen klar hervorgehen, dass die KI immer nur ein Hilfsmittel sein kann und wie sie verwendet werden soll. Insofern bieten die KI-Tools auch eine große didaktische Chance, um Lernenden die Prozesshaftigkeit des Schreibens nahezubringen. Lernende können durch eine sinnvolle Integration von Tools wie ChatGPT durch ihr eigenes Handeln erfahren, dass kompetente Schreibende ihr Schreiben planen, durchführen und die so entstandenen Produkte anschließend überarbeiten müssen. Somit kann Schreibkompetenz erweitert werden, indem Spontanschreiben um Planung und Überarbeitung ergänzt wird. KI-Tools können dabei etwa ideal dafür genutzt werden, um Hilfstexte, beispielsweise Zusammenfassungen, zu verfassen (Bräuer/Schindler 2010).
(2) Selbstverständnis als Autorin oder Autor und (3) Autonomiegefühl
Damit der Einsatz von KI-Tools gelingt, Lernende wirklich davon profitieren können und trotzdem nicht die Schreibmotivation verlieren, braucht es aber auch noch etwas Anderes: ein Gespür für die mit Autorschaft einhergehende Verantwortung für einen Text. Dieser Aspekt setzt am Selbstverständnis als Autorin oder Autor an. Über die Auseinandersetzung mit KI-Tools können Lernende verstehen, was Autorschaft eigentlich ausmacht und welche Verantwortung damit einhergeht. Es wirkt motivationsfördernd, wenn Lernende dazu gebracht werden, Verantwortung für ihr Schreiben zu entwickeln. Hierzu gehört aber auch, dass sie selbstständig Entscheidungen treffen dürfen, die alle Ebenen der Steuerung ihres Schreibprozesses betreffen. Nur über solche Autonomieerfahrungen können Lernende ein positives Selbstkonzept als Schreibende entwickeln. Ein Punkt betrifft dabei die schon erwähnte Aufgabenstellung: Biete verschiedene Varianten von Schreibaufgaben an und lass die Lernenden selbst entscheiden, welche davon sie bearbeiten. (Erlaube mir hier eine kleine Nebenbemerkung: Wenn du jetzt fürchtest, dadurch noch mehr Arbeit zu haben, als du ohnehin schon hast – auch du kannst Tools wie ChatGPT als Arbeitserleichterung einsetzen und mit Unterstützung einer KI z. B. Aufgabenvarianten entwickeln).
(4) Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen
Eine andere Entscheidung, die Lernende selbst treffen können sollten, ist, ob sie Aufgaben im Klassenzimmer alleine oder gemeinsam mit anderen bearbeiten. Erinnere dich: Das Gefühl, sozial eingebunden zu sein, hat der psychologischen Selbstbestimmungstheorie zufolge ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf die Motivation. Dies bedeutet zum einen, dass Texte kollaborativ erstellt werden – und zwar mit allen verfügbaren Hilfsmitteln und damit auch mit KI-Tools. So können Lernende in der Gruppe ihren Text planen, die Versatzstücke von ChatGPT & Co. diskutieren, übernehmen, verändern, durch eigene Formulierungen anreichern und überarbeiten. Zum anderen zielt die Forderung nach sozialer Eingebundenheit aber auch darauf ab, dass die Texte der Lernenden, seien sie nun in Einzel- oder Gruppenarbeit entstanden, auch Leserinnen und Leser finden. Eine erste Teillösung hierfür ist das Geben von Feedback. Das Feedback kann dabei ebenso von dir als Lehrkraft wie von den Mitlernenden kommen. Wird Feedback – und zwar formatives, entwicklungsorientiertes, nicht nur summatives – zu einem selbstverständlichen und festen Bestandteil von Schreibprozessen, wird damit in einem doppelten Sinne Schreibmotivation gefördert: Es sorgt nicht nur für ein Gefühl der sozialen Eingebundenheit, sondern fördert außerdem Selbstwirksamkeit bzw. Kompetenzerleben, was ebenfalls die Schreibmotivation steigert. Allerdings ist das Geben von Feedback nur ein erster Ansatzpunkt, denn wenn die Texte nach dem Feedback und dem Überarbeiten im Mülleimer landen, wird jedes Motivationserleben direkt wieder im Kern erstickt. Niemand von uns möchte Texte (außer natürlich sehr private Texte wie Tagebucheinträge) nur für das eigene Notizheft bzw. überspitzt ausgedrückt sogar eben nur für den Mülleimer schreiben. Hier müssen wir also zu Punkt (1) zurückgehen und an der Aufgabenstellung ansetzen: Mache als Lehrperson immer deutlich, was mit den Texten am Ende passiert – wird eine Textcollage daraus gemacht, werden sie Teil eines Portfolios, können sie ggf. sogar veröffentlicht werden, etwa auf der Schulhomepage, in einem Blog etc.? Wenn ich einen Aspekt aussuchen müsste, der am wichtigsten für Schreibmotivation ist, wäre es dieser Punkt. Denn nur so erfahren die Lernenden ihr eigenes Handeln als sinnvoll und den damit verbundenen Aufwand nicht als »vergeudete« Zeit.
Am Ende habe ich noch ChatGPT gefragt, wie man die Schreibmotivation von Lernenden trotz KI-Tools aufrechterhalten kann. Wie aufgrund meines Prompts nicht anders zu erwarten, habe ich eine sehr vage Antwort bekommen: »KI-Tools können sicherlich nützlich sein, um beispielsweise Rechtschreib- und Grammatikfehler zu korrigieren. Sie können jedoch nicht den gesamten Schreibprozess ersetzen. Lernende sollten verstehen, dass sie selbst lernen müssen, ihre Gedanken und Ideen in klaren und zusammenhängenden Sätzen auszudrücken.«
Trotz ihrer Vagheit möchte ich an dieser Antwort ansetzen, um einen letzten Gedanken zu äußern: Ja, Schreibende dürfen trotz KI-Tools nicht verlernen, ihre eigenen Gedanken und Ideen auszudrücken. Deshalb plädiere ich am Schluss noch dafür, dass in den Unterricht immer wieder auch technologiefreie Schreibaufträge eingestreut werden, in denen die Lernenden mit Sprache kreativ sein und sich selbst zum Ausdruck bringen können. Schreibaufträge, die die Schreibstimme (voice) der Lernenden fördern und auf Selbsterkenntnis und ‑verwirklichung zielen, fördern nämlich ebenfalls, dass Lernende Schreibmotivation entwickeln – und so letzten Endes auch im KI-Zeitalter Schreibkompetenz nicht verloren geht.
Hinweise zum Datenschutz und ChatGPT in Schule findest du hier.
Literatur
- Bräuer, Gerd/Schindler, Kirsten (2010). Authentische Schreibaufgaben im schulischen Fachunterricht. In: Zeitschrift Schreiben.
- Camacho, Ana/Alves, Rui A./Boscolo, Pietro (2021). Writing motivation in school: A systematic review of empirical research in the early twenty-first century. In: Educational Psychology Review 33 (1), 213–247.
- Deci, Edward L./Ryan, Richard M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39 (2), 223–238.
- Elbow, Peter (2007). Voice in Writing Again: Embracing Contraries. In: College English 70 (2), 168–188.
- Schindler, Kirsten (2022). Schreibmotivation in der Sekundarstufe I – Befunde der Forschung und didaktische Perspektiven. In: Witschel, Elfriede/Korenjak, Christina/Raffelsberger-Raup, Monika (Hrsg.): LesenSchreibenLesen in der Sekundarstufe I. Einblicke in Theorie, Empirie und Praxis. Innsbruck/Wien: StudienVerlag, 91–106.