Lernende müssen sich beim Lesen von Sachtexten unbekannte Fachbegriffe häufig selbstständig erschließen. Oft überlesen sie diese einfach, was den Zugang zum Text erheblich erschweren kann.
Das sinnentnehmende Lesen ist darüber hinaus durch verschiedene Faktoren erschwert:
- Nicht immer sind ausreichend Informationen in zu lesenden Texten verfügbar, über die ein unbekanntes Wort erschlossen werden kann;
- die Bedeutung von Fachbegriffen kann von Fach zu Fach unterschiedlich sein;
- Fachbegriffe sind aufgrund ihres Auftretens in bildungssprachlichen Kontexten häufig in weniger geläufige grammatikalische Strukturen oder komplexe Satzgefüge eingebettet, und
- ist (bildungssprachlicher) Wortschatz selbst durch morphologische Komplexität und Abstraktheit geprägt und hat häufig eine andere Bedeutung als in der Alltagssprache (vgl. Michalak, Lemke & Goeke 2015).
Es sind also sowohl die Fachbegriffe selbst, die eine Hürde darstellen, als auch die sprachliche Umgebung, in die sie eingebettet sind. Für Lernende, denen sprachliche Fähigkeiten noch fehlen, stellen diese Faktoren eine besondere Herausforderung dar, sodass sie den ihnen gestellten Lese- und ggf. damit verbundenen Schreibauftrag nicht bewältigen können. In Deutschland trifft dies besonders auf Kinder und Jugendliche zu, die aus Familien mit geringem Zugang zu Bildung kommen oder die erst im schulpflichtigen Alter beginnen, Deutsch zu lernen (vgl. Woerfel & Giesau 2018). Eine visuelle Hervorhebung neuer oder schwieriger Begriffe, wie man sie in Schulbüchern vorfindet, reicht hier allerdings nicht aus, sodass Lehrkräfte die von ihnen eingesetzten Materialien zusätzlich differenzieren müssen. Hier sind sprachliche Hilfen wie Worterklärungen, aber auch Rückfragen und Aufgaben, in denen zentrale Begriffe und Konzepte erst einmal definiert werden (z. B. in Mindmaps oder Schaubildern), zielführend. In diesem Beitrag möchten wir Möglichkeiten vorstellen, das Tool QRStorage von »kits« als sprachliche Hilfen zu nutzen, um Lernenden den Zugang zu Fachtexten und unbekannten Fachbegriffen zu ermöglichen.
Einen Lesetext in der Oberstufe sprachsensibel gestalten
Den Prinzipien des sprachsensiblen Unterrichts folgend stellt die Wortschatzentlastung eine Möglichkeit dar, Lernenden den Zugang zu unbekannten Fachbegriffen durch sprachliche Hilfen zu schaffen. Hierfür muss die Lehrkraft zunächst unbekannte Fachbegriffe oder bildungssprachlich komplexe Wörter und deren Kontext in bereitgestellten Lesetexten identifizieren und anschließend eine sprachliche Hilfe hierfür entwerfen und/oder bereitstellen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Primar- oder frühe Sekundarstufe, sondern auch für die Sekundarstufe II. Sowohl in der Forschung zur sprachlichen Bildung als auch in der Unterrichtspraxis wird diese Zielgruppe bisher wenig beachtet, da in der Sekundarstufe II bildungs- und fachsprachliche Kompetenzen oft als selbstverständlich vorausgesetzt werden, obwohl die Lernenden hier häufig mit neuen und gleichsam komplexen Begriffen sowie fachsprachlichen Besonderheiten konfrontiert werden. Zur Veranschaulichung unserer Ausführungen haben wir daher einen authentischen Text aus der Oberstufe gewählt, der aufgrund seiner hohen Anzahl an Fachbegriffen und komplexen Satzstrukturen (vgl. Bauer et al. 2016) repräsentativ für viele komplexe Fachtexte in der Oberstufe ist. Der gewählte Text stammt aus dem Fach Sozialwissenschaften zum Thema Sozialpolitik und wurde gekürzt einem aktuellen Lehrwerk entnommen.
1. Sprachliche Anforderungen ermitteln und aufbereiten
Um sprachliche Hilfen gezielt bereitzustellen, identifizieren wir zunächst die zentralen und neuen Fachbegriffe im Text, dazu gehören z. B. Komposita wie »Beitragsbemessungsgrenze«, Adjektive wie »prekär«, Nominalisierungen wie »sozial Schwache« oder Begriffe, die typisch für das Fach Sozialwissenschaften (und z. B. lateinischen Ursprungs) sind, wie »Äquivalenzprinzip«.
Für die Entlastung des zu lesenden Texts haben wir verschiedene Wege vorgesehen:
- Erstens haben wir ein Glossar für die ausgewählte Begriffe angelegt und die Begriffe knapp und verständlich paraphrasiert.
- Für die Konstruktion »sozial Schwache«, die wir zum einen aufgrund der Zusammensetzung als besonders schwierig einschätzen und die zum anderen in ihrer wertenden Formulierung reflektiert werden sollte, haben wir zweitens eine zusätzliche Differenzierung formuliert. Diese enthält neben sprachsensibilisierenden Hinweisen auch alternative Formulierungsmöglichkeiten.
- Drittens haben wir zusätzliche Hintergrundinformationen in Form von Videos und Internettexten für bestimmte Wörter recherchiert, z. B. »Sozialstaatsgebot« oder »Umlageverfahren«, die unseres Erachtens eine umfangreichere Erläuterung erfordern als eine einfache Worterklärung.
- Und viertens möchten wir den Lernenden bei Bedarf die Möglichkeit bieten, sich den Text vorlesen zu lassen.
2. Sprachliche Hilfen über QR-Storage bereitstellen
Das Tool QRStorage von »kits« bietet für alle oben genannten Wege der Textentlastung die Möglichkeit, ohne Anmeldung QR-Codes zu generieren, die entweder für einen kurzen Zeitraum oder dauerhaft (sofern genutzt) gespeichert werden können. So bietet das Tool die Möglichkeit, auf multimediale Inhalte zu verlinken oder differenzierende Texte bis zu 4000 Zeichen über einen QR-Code bereitzustellen. Zusätzlich verfügt das Tool über eine integrierte Vorlese-Funktion in aktuell zwölf Sprachen, sodass sich Lernende den über den generierten QR-Code bereitgestellten Text anhören können. Des Weiteren können auch selbst Texte eingesprochen werden.
Das Glossar und die zusätzlichen Worterklärungen werden über die Texteingabe erstellt und gesammelt bereitgestellt. Hier haben wir außerdem die Möglichkeit, unsere Quellen mit einem Link zu hinterlegen und somit transparent und anklickbar zu machen:
Die weiterführenden Informationen erstellen wir über die Linkfunktion von QRStorage, die zu den hinterlegten Videos und Internettexten führen, sobald man den QR-Code einscannt.
Zusätzlich haben wir über die Audiofunktion einen Teil des zu lesenden Texts eingegeben, den sich Lernende über die Sprachausgabe nun vorlesen lassen können, was zur Entlastung des Leseprozesses beiträgt.
Die über QRStorage generierten QR-Codes zu den sprachlichen und kontextuellen Hilfen haben wir nun neben dem zu lesenden Text platziert, sodass Lernende auf diese schnell je nach Bedarf mit einem mobilen Endgerät zugreifen können. Zur besseren Zuordnung der bereitgestellten Entlastungen haben wir die einzelnen Begriffe im Text farblich markiert und die QR-Codes, mit denen sich Lernende zusätzliche Hilfen holen können, in derselben Farbe eingebettet. Das Arbeitsblatt kann hier vollständig angesehen werden.
Didaktische Hinweise
Die Erfahrung aus dem Unterricht zeigt, dass Schülerinnen und Schüler gerne von den zusätzlichen Hilfen Gebrauch machen. Zuweilen müssen die Lernenden auf die Nutzung der Hilfen hingewiesen werden. Zu beachten ist, dass der Gebrauch der Hilfen in der Lesephase mehr Zeit in Anspruch nehmen kann, was in der Planung berücksichtigt werden sollte. Dennoch bietet man so den Schüler*innen die Möglichkeit, den Text selbsttätig zu erschließen. Zudem wird vermieden, die Begriffe erst in der Sicherungsphase ausführlich zu (er)klären, was hier im Zweifel mehr Zeit kosten und Verständniseinbußen bewirken kann, da der Sinn des Textes von einigen Lernenden erst nach der Erklärung in seiner Vollständigkeit erschlossen werden kann.
Literatur
- Bauer, Max; Becker, Helmut; Benzmann, Stephan; Brügel, Peter; Kailitz, Steffen; Kailitz, Susanne; Riedel, Hartwig; Tessmar, Karsten; Tschirner, Martina; Hamm-Reinöhl, Andreas & Podes, Stephan (Hrsg., 2016). Buchners Kompendium Politik: Politik und Wirtschaft für die Oberstufe. Schülerband. Bamberg: C.C. Buchner.
- Michalak, Magdalena; Lemke, Valerie & Goeke, Marius (2015). Sprache im Fachunterricht. Tübingen: Narr.
- Woerfel, Till & Giesau, Marlies (2018). Sprachsensibler Unterricht. Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen sprachliche Bildung). Hier verfügbar.