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Deutsch­un­ter­richt nur noch bis zur dritten Klasse, maximal bis zur vierten. Ler­nende, die nach der Grund­schule über die basalen Lese- und Schreib­kom­pe­tenzen ver­fügen, um die ent­spre­chenden kogni­tiven Pro­zesse fortan an den Com­puter aus­zu­la­gern. Eigene Texte per Knopf­druck erstellen, fremde Texte per Knopf­druck zusam­men­fassen lassen. Wert­volle Zeit gewonnen, mehr Effi­zienz, Ler­nende, die früher für den Arbeits­markt ver­fügbar sind. Lösung für den Fach­kräf­te­mangel.

Wie klingt dieses Sze­nario für dich? Wie eine düs­tere Dys­topie oder eher ver­lo­ckend? Zuge­ge­be­ner­maßen ist die hier ent­wor­fene Welt sehr über­spitzt for­mu­liert. Trotzdem ent­hält das Sze­nario im Kern eine Frage, die das Bil­dungs­system aktuell auf den Kopf stellt, an alten Gewiss­heiten kratzt und viel Spreng­kraft in sich trägt: Welche Impli­ka­tionen haben KI-Schreib­tools für das Lernen, ins­be­son­dere für die Ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz? Mein Grund­la­gen­ar­tikel widmet sich genau dieser Frage. Aus­ge­hend von einer kurzen Erläu­te­rung, wie KI-Schreib­tools funk­tio­nieren, stelle ich zunächst die Frage, wes­halb Ler­nende auch in Zukunft Schreib­kom­pe­tenz brau­chen. Anschlie­ßend prä­sen­tiere ich Ideen dafür, wie Lehr­kräfte Ler­nende im Rahmen der dis­rup­tiven tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lungen bei der Ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz unter­stützen können.

KI-Schreib­tools

Spä­tes­tens seit dem 30.11.2022, als ChatGPT auf den Markt kam, dürfte auch der letzten halb­s­wegs am Welt­ge­schehen inter­es­sierten Person nicht ent­gangen sein, welche Trans­for­ma­tionen im Bereich des Natural Lan­guage Pro­ces­sing statt­finden. ChatGPT von OpenAI ist ein auf Künst­li­cher Intel­li­genz basie­render Chatbot, der mit einer enormen Menge an Texten trai­niert wurde, um men­schen­ähn­liche Kon­ver­sa­tionen zu führen. Sprach­mo­delle (Large Lan­guage Models) wie GPT‑3, auf dem ChatGPT basiert, lernen, Muster und damit sta­tis­ti­sche Wahr­schein­lich­keiten der Abfolge ver­schie­dener Wörter zu erkennen (Deep Lear­ning) und auf dieser Grund­lage selbst Texte zu gene­rieren.

ChatGPT ist jedoch nur ein Tool auf einem Markt, der extrem dyna­misch ist und täg­lich neue Platt­formen her­vor­bringt – nicht nur zur Text­ge­ne­rie­rung, son­dern auch zur Lite­ra­tur­re­cherche, Lite­ra­tur­auf­be­rei­tung, Text­über­ar­bei­tung, Bil­der­zeu­gung und vielem mehr. Tools wie smodin.io, homework-ai.app oder hesse.ai ver­spre­chen Ler­nenden teil­weise sogar explizit, ihnen bei der Erstel­lung von Haus­auf­gaben zu helfen. Die gene­rierten Texte sind dabei Uni­kate: Das Tool stü­ckelt keine Text­teile von ver­schie­denen Web­seiten zusammen, son­dern erzeugt kom­plett neuen, bis­lang noch nie dage­we­senen Text. Geben zwei Men­schen also den­selben Prompt, das heißt Befehl, ein bzw. stellen dem Tool genau die­selbe Frage, erhalten sie ver­schie­dene Ant­worten. Dies bedeutet auch, dass ich meinen eigenen Prompt mehr­mals ein­geben kann, um stets einen anderen Text zu gene­rieren.

Der mediale Hype um ChatGPT vom Ende letzten Jahres ist immer noch nicht abge­flacht. Nach wie vor finden sich in der ZEIT, der FAZ und vielen anderen Medien wöchent­lich neue Artikel, Exper­ten­in­ter­views und Kom­men­tare dazu. Ein Ende der Bericht­erstat­tung zu aktu­ellen Ent­wick­lungen ist nicht in Sicht. Daher sollten sich Bil­dungs­ein­rich­tungen aller­spä­tes­tens jetzt ein­ge­stehen, dass ein Igno­rieren der Large Lan­guage Models nicht mög­lich ist und sich das Rad ebenso wenig zurück­drehen lässt. Ein »Weiter so« an Schulen wie Hoch­schulen stellt keine Option dar, wenn deren Akteu­rinnen und Akteure ihre täg­liche Arbeit nicht ad absurdum führen und letzt­lich bedeu­tungslos werden lassen wollen.

Schreib­kom­pe­tenz der Zukunft – warum?

Die gute Nach­richt vorweg: Auch in Zukunft werden Lehr­kräfte wohl kaum arbeitslos. Ebenso wie heute müssen sie Ler­nende zur Ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz befä­higen – und zwar nicht nur, wie im ein­gangs beschrie­benen Sze­nario, bis zur vierten Klasse, son­dern ebenso wie noch vor dem »Ein­schlag« des Meteo­rits »KI-Tools« bis zum Schul­ab­schluss. Grund hierfür ist nicht etwa der im Kon­text von tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lungen oft als Argu­ment her­an­ge­zo­gene Strom­aus­fall, der die Bedeu­tung tech­no­lo­gie­freien mensch­li­chen Han­delns auf­recht­erhält. Es geht um viel mehr als ledig­lich darum, die Maschinen im Not­fall ersetzen zu können.

Schreiben ist eine Kul­tur­technik und darf diesen Stel­len­wert auch im KI-Zeit­alter nicht ein­büßen, wenn wir den Wert unserer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft erhalten wollen. Pathe­ti­sche Worte? Nein, ganz und gar nicht. Schreiben hat eine per­sön­lich­keits­bil­dende Funk­tion, ist Mittel zur Refle­xion und damit ein wich­tiger Bestand­teil für die Aus­bil­dung von Meta­ko­gni­tion. Schreiben för­dert kri­ti­sches Denken und bildet damit ein Instru­ment zur Erzie­hung mün­diger Bür­ge­rinnen und Bürger, die Fakten nicht ein­fach unhin­ter­fragt auf­nehmen, son­dern Gele­senem, Gehörtem und Gese­henem kri­tisch begegnen. Allein schon des­halb brau­chen Ler­nende Schreib­kom­pe­tenz, um die KI-gene­rierten Text­pro­dukte ein­ordnen, bewerten und auch über­ar­beiten zu können. Die Ver­ant­wor­tung für Texte liegt immer bei den Schrei­benden selbst und das müssen Ler­nende ver­stehen.

Schreiben ist aber auch ein Werk­zeug für das Denken gene­rell. Niklas Luh­mann bringt dies gut auf den Punkt, wenn er sagt, dass man ohne zu schreiben »nicht denken« kann, »jeden­falls nicht in anspruchs­voller, anschluss­fä­higer Weise«. Und genau des­halb braucht es auch in Zukunft Schreib­un­ter­richt, muss das Schreiben aber auch in Zukunft ebenso außer­halb des Deutsch­un­ter­richtes, fächer­über­grei­fend, als Denk­me­dium zum Ein­satz kommen. Carl Bereiter (1980, S. 73 ff.) model­liert die Ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz als Abfolge von fünf Stufen: Ange­fangen vom asso­cia­tive wri­ting, bei dem Ler­nende ledig­lich über die Fähig­keit ver­fügen, Inhalte in Sprache zu fassen, bildet das epis­te­mi­sche Schreiben die am wei­testen ent­wi­ckelte Form des Schrei­bens: Das Schreiben ist hier Mittel zur Ent­wick­lung von Gedanken und damit Motor für den Erkennt­nis­pro­zess.

KI-Tools können zwar Ein­gang finden in das epis­te­misch-heu­ris­ti­sche Schreiben und dieses somit beför­dern. Damit die tech­ni­sche Hil­fe­stel­lung jedoch adäquat genutzt werden kann, muss diese höchste Stufe der Ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz erst einmal unab­hängig von KI-Tools grund­le­gend aus­ge­bildet werden. Dies wird ent­spre­chend auch im KI-Zeit­alter die Auf­gabe von Lehr­kräften an Schulen sein. Aller­dings sind es ver­än­derte Vor­zei­chen, unter denen Ler­nende künftig Schreib­kom­pe­tenz erwerben. Im Fol­genden stecke ich daher das Feld didak­ti­scher Hand­lungs­mög­lich­keiten grob ab, wobei meine Aus­füh­rungen recht all­ge­mein gehalten sind.

Schreib­kom­pe­tenz der Zukunft – wie?

Ler­nende müssen sowohl mit als auch über KI lernen. Da im Fokus dieses Arti­kels die Ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz steht, gehe ich hier nur auf den ersten Bereich ein – der zweite Bereich lässt sich mit Stich­worten wie Daten­schutz, AI literacy, Data Ethics umreißen.

KI-Schreib­tools werden lang­fristig dafür sorgen, dass ein­fa­chere kogni­tive Auf­gaben von einer KI über­nommen werden, Schrei­bende also im Sinne des cogni­tive off­loa­ding mehr Res­sourcen für die Beschäf­ti­gung mit wich­ti­geren Text­merk­malen haben. In der Schreib­di­daktik fir­miert diese Zwei­tei­lung unter dem Gegen­satz­paar HOC vor LOC, d. h. higher order con­cerns wie Text­struktur, Kohä­renz, Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung vor lower order con­cerns wie Recht­schrei­bung, Zei­chen­set­zung, For­malia. Ortho­grafie, Inter­punk­tion und Gram­matik müssen folg­lich nicht mehr per­fekt beherrscht werden, um Texte von hoher Qua­lität zu ver­fassen. Den »Fein­schliff« in diesem Bereich kann man getrost einer KI über­lassen. Im Umkehr­schluss bedeutet dies, dass Res­sourcen von Lehr­kräften frei werden: Sie brau­chen keinen Rot­stift mehr anzu­setzen, um jeden Fehler in diesem Bereich anzu­merken und haben folg­lich mehr Zeit, sich auf die wich­ti­geren Punkte eines Textes zu fokus­sieren. Dies bietet eine große Chance, Ler­nenden mehr echtes, ent­wick­lungs­ori­en­tiertes Feed­back auf ihre Texte zu geben, das nach­hal­tiges Lernen ermög­licht.

KI-gene­rierte Texte sollten im Unter­richt immer als Grund­lage ein­ge­setzt werden, um darauf basie­rend mit den Ler­nenden ins Gespräch zu kommen. Anhand von KI-Texten können viel­fäl­tige Aspekte bespro­chen werden, die zur Wei­ter­ent­wick­lung von Schreib­kom­pe­tenz bei­tragen: Text­sor­ten­merk­male lassen sich auf Basis maschi­nell erzeugter Texte ebenso ver­mit­teln wie der Aufbau strin­genter Argu­men­ta­tionen oder Güte­kri­te­rien wie Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung. Gleich­zeitig bekommen die Ler­nenden auf diese Weise ein Ver­ständnis dafür, dass KI-erzeugte Texte nicht mehr als eine Grund­lage bilden, auf Basis derer sie wei­ter­ar­beiten müssen, die also über­ar­beitet, ange­passt und mit eigener Denk­ar­beit ange­rei­chert werden muss. Dem­entspre­chend geht es darum, ein viel stär­keres Augen­merk auf die refle­xive Kom­po­nente zu legen, die ein wich­tiger Treiber für die Genese von Schreib­kom­pe­tenz dar­stellt. Daneben wird es ange­sichts der ein­fa­chen Erzeu­gung von Texten unab­dingbar, dass Ler­nende ein Bewusst­sein für die Kri­te­rien von Text­qua­lität aus­bilden, sie also Kom­pe­tenzen für die Auf­gabe der Text­über­ar­bei­tung ent­wi­ckeln.

Am Ende möchte ich noch explizit machen, wofür ich bis­lang nur implizit argu­men­tiert habe: KI-Tools sollten in Schulen als Gele­gen­heit ver­standen werden, den Blick stärker vom finalen Text­pro­dukt hin zum Schreib­pro­zess zu lenken. Pro­dukt und Pro­zess ver­stehe ich dabei nicht als Dicho­tomie, da diese beiden Aspekte die zwei Seiten einer Medaille bilden und inso­fern nicht getrennt betrachtet werden dürfen. Nur allzu oft gerät jedoch der Schreib­pro­zess selbst aus dem Blick und es wird ledig­lich das finale Pro­dukt bewertet. Wenn Ler­nende mit den KI-Schreib­tools aber nicht alleine gelassen werden sollen, sind Spre­chen über den (KI-unter­stützten) Schreib­pro­zess und Pro­zess­feed­back wich­tige Bau­steine zur Aus­bil­dung von Schreib­kom­pe­tenz. Inte­graler Bestand­teil einer sol­chen wird künftig näm­lich ein kom­pe­tenter Umgang mit ent­spre­chenden Tools sein.

Abschließen möchte ich diesen Artikel mit einem Plä­doyer: Ver­schließe als Lehr­kraft nicht die Augen vor den dis­rup­tiven Wir­kungen von Large Lan­guage Models. Werte die tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lungen nicht als Ein­tags­fliege, nicht als bloß medial erzeugten Hype. Tritt statt­dessen in eine aktive Aus­ein­an­der­set­zung mit den Tools und baue ggf. vor­han­dene Berüh­rungs­ängste ab. Am besten jetzt direkt, indem du dich bei ChatGPT regis­trierst und den Chatbot ein­fach aus­pro­bierst. Oder bilde dich durch Online-Kurse fort, etwa auf dem KI-Campus. Ver­stehe dich selbst als ler­nend, gemeinsam mit deiner Lern­gruppe, um damit zukunfts­fähig zu bleiben.

Lite­ratur
Bereiter, Carl (1980): Deve­lo­p­ment in Wri­ting. In: Gregg, Lee & Erwin Stein­berg (Hrsg): Cogni­tive pro­cesses in wri­ting. Hils­dale: Law­rence Erl­baum, 73–93.

Dr. Isabella Buck ist Sprach­wissen­schaftlerin und Schreib­didaktikerin. Sie arbeitet am LehrLernZentrum der Hoch­schule RheinMain, wo sie für die Schreib­werk­statt zuständig ist. In ihrer aktuellen Forschung setzt sie sich mit den Implika­tionen von KI-Schreib­tools für das Hoch­schul­system sowie für die Ent­wicklung von Schreib­kompetenz ausein­ander.

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